KURT KOCH

 

 

 

 

KURT KOCH –
KUNSTKÖRPER UND
KÖRPERKUNST

 

PETER THURMANN

 

 

 

»Die Simulierung von Bewegungsabläufen bestimmt die Polyesterplastiken des Berliner Bildhauers Kurt Koch. Lastig ballen sich an den unteren Enden seiner Polyestergüsse Verdickungen, als ob aus Behältern der Inhalt ausgelaufen sei und noch einmal aufgefangen wird durch den Halt, den die Haut der Plastik bietet. Plastik erscheint bei Koch als zum Stillstand gebrachter Organismus. Seine Schwellformen vereinen ein tektonisches Gefühl mit einem frei entstehenden Volumen, das jedoch immer einer starken Kontrolle unterliegt.«1
Diese Passage von Rolf-Gunter Dienst ist einer der wenigen relevanten Texte über Kurt Koch. Dieser war gerade Meisterschüler von Shinkichi Tajiri an der Hochschule der Künste geworden und in den Deutschen Künstlerbund eingetreten. Mehrere Jahre war er Studentensprecher des Fachbereichs Bildende Kunst. Mit Künstlerkollegen wie dem Professor für Malerei Hermann Bachmann, dem Maler und Bildhauer Dieter Finke oder seinem Ateliernachbarn in Wedding, dem Bildhauer Gerd Rohling, war er befreundet. Man tauschte sich vornehmlich im
Künstlerlokal »Zwiebelfisch« am Savignyplatz aus. In den 1980er Jahren lehrte Koch zunächst »Plastisches Gestalten« am Fachbereich Architektur an der TU Berlin und dann bis 1991 »Aktmodellieren« an der
Hochschule der Künste. Das alles deutet auf einen beredten und kommunikativen Charakter hin. Umso erstaunlicher, dass sich dies in schriftlichen Zeugnissen kaum und in Ausstellungen nur bedingt niederschlägt. Auf einen eigenen Kommentar zu seinem Werk, wie ihn andere der in »das kunstwerk« vorgestellten Künstler ihrer Biographie beigefügt haben, hat Koch verzichtet. Zwei Einzelpräsentationen in einer Berliner und einer
römischen Galerie sind zu verzeichnen, ohne dass Koch sich je fest an eine Galerie gebunden hätte. Werke in öffentlichem Besitz gibt es nicht, nur einige private Verkäufe. Nach 1983 bricht die Ausstellungsliste (meist im Zusammenhang mit dem Deutschen Künstlerbund) ab, mit Ausnahme der Beteiligung an der Ausstellung »zeitgleich – stop and go. Künstlerische Partnerschaften«, gemeinsam mit Kochs Tochter Uschi, in der Kieler Stadtgalerie 2001. Um mediale Aufmerksamkeit hat Kurt Koch sich offensichtlich kaum bemüht.
Neben seiner Ausbildung als Steinmetz führte Koch das weiter, was schon in der Schulzeit begonnen hatte; er arbeitete mit Vorliebe an Mädchenakten und -köpfen in Stein, orientiert an Werken der Antike. Als er 1962 sein Studium an der Werkkunstschule in Wuppertal begann, hatte er eine solide handwerkliche Ausbildung erfahren und konnte diese bei dem Bildhauer-Professor Kurt Schwippert vervollkommnen. Sein frühes Interesse an Archäologie führte ihn in den Folgejahren in den östlichen Mittelmeerraum und den Vorderen Orient. Zugleich hatte er seinen kunsthistorischen Horizont erweitert. War Schwippert mit seinen figürlichen Skulpturen ein Vertreter der Klassischen Moderne, so bekam Kurt Koch bei dessen Kollegen Guido Jendritzko einen Einblick in die abstrakte Plastik. Jendritzko war Meisterschüler von Karl Hartung gewesen. Dies förderte nicht zuletzt die Absicht Kochs, sich 1966 an der Hochschule der Künste in Berlin zu bewerben.

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         1 Rolf-Gunter Dienst, Deutsche Kunst: Eine neue Generation III. Biographien und
         Selbstzeugnisse, in: das kunstwerk. zeitschrift für bildende kunst 6 XXIV 1971, S. 3–41, hier S. 41.

         Foto oben: Doppeltropfen  ca 1977, Polyester und Stahl

         Foto unten: Atelier in der HdK Berlin ca 1971

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Vom kulturpolitisch engagierten Jendritzko nahm er sicher auch Impulse für sein Mitwirken in der 1968er Studentenbewegung mit. Mit seinem biomorphen, zwischen Figuration und Abstraktion changierenden
Stil gehörte Karl Hartung zu den führenden deutschen
Bildhauern seiner Zeit. Kurt Koch kam also mit hohen Erwartungen nach Berlin. Aber Hartung starb bereits ein gutes Jahr nach Kochs Ankunft. Sein Nachfolger als Gastprofessor für zwei Jahre, Kenneth Armitage, war nach Kochs Aussage nur sporadisch anwesend und kein rechter Ansprechpartner. Immerhin waren ihm Armitages oft flache, wie von einer Haut umhüllte Figuren bekannt. In seinen Arbeiten seit den 1970er Jahren mag Kurt Koch etwas davon aufgenommen und weitergetragen haben. Jedenfalls nutzte er zunehmend eine Struktur, die an Hautoberfläche erinnert. Prägender wurde für ihn 1969 die Professur von Shinkichi Tajiri. Dieser arbeitete in vielen künstlerischen Sparten. Seit kurzer Zeit widmete er sich reduzierten Knotenskulpturen und vermittelte dies auch seinen Schülern. So gibt es auch einige Knoten von Kurt Koch. Die einfache oder doppelte Windung eines Ton- oder Gipsstranges ist an den beiden Enden hart gekappt, das in sich geschlossene Gebilde trägt auch den Gedanken des Torsos in sich, materiell unvollendet, ideell vollkommen. Zu Beginn seiner Hochschulzeit hatte Koch komplizierte Werke mit surrealer Anmutung hergestellt, nun näherte er sich einer komplexen Einfachheit. Hinzu kam ein in der Kunst noch relativ neues Material, das Tajiri mitbrachte: Polyester. Koch entwickelte zunächst Boden-, dann Wandobjekte, wie sie Rolf-Gunter Dienst im Eingangszitat beschreibt. Der Eindruck einer natürlichen Fließbewegung bis zum angeschwollenen Endstadium insbesondere der Hängeobjekte ab 1970 täuscht über die kalkulierte Planung hinweg. Koch hat den Polyesterkörper im Vorweg exakt in Ton modellierend konstruiert. Die erzielte organische Wirkung kontrastiert mit dem künstlerischen Verfahren, unterstützt durch das künstliche Material. 1972 schloss Kurt Koch sein Studium ab und bezog 1973 ein Atelier in Berlin-Wedding. Bald darauf wurde er für ein Arbeitsstipendium in der Villa Romana in Florenz vorgeschlagen, das er 1974 antrat. Einerseits genoss er die neue Situation der bildnerischen Freiheit und die Einflüsse der südlichen Kultur; andererseits geriet er in eine persönliche Krisensituation. Die kantige „Pyramide“ aus Gips, für eine Ausführung in Polyester vorgesehen, ist an der Spitze oben aufgesprengt (vergleichbar einer aufschlagenden und in alle Richtungen emporspritzenden Tropfenform aus Kochs Studienzeit) und entlässt einen Ausfluss wie einen Lavastrom aus einem Krater. In Bleistiftzeichnungen kündigt sich die Wendung zu quadratischen Reliefs an, die das künftige Schaffen von Kurt Koch bestimmen sollten. Knut Nievers beschreibt sie so: »Besonders die Reliefs von Kurt Koch betonen das plastische Volumen durch Einquetschungen und durch den Gegensatz von hart (Stahl) und weich (Plastik).«2

------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------             2 Knut Nievers, Künstlerische Partnerschaften, in: zeitgleich – stop and go. Künstlerische
           Partnerschaften. Eine Ausstellung des BBK-Landesverband Schleswig-
           Holstein in Zusammenarbeit mit der Stadtgalerie Kiel, Kiel 2001, S. 4–13, hier S. 11.

           Foto unten:     II/80 ca.1980, Polyester und Stahl, 65/50/25 cm

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Das Quadrat liefert einen neutralen Rahmen, innerhalb dessen der Polyester durch Stahlstücke – Stifte, Ringe oder Zwingen – in bauchige Form gepresst oder gezerrt erscheint. Reliefs und Bilder der Antike oder der Renaissance seit Donatello, die Koch in den Uffizien und den Florentiner Kirchen vor Augen hatte, konnten – formal oder inhaltlich – Anregungen liefern, vielleicht Beispiele wie solche des Heiligen Sebastian. Aber auch der Gedanke an die in diesen Jahren, von Großbritannien ausgehend, zunehmenden Piercings als Symbol einer gegen gesellschaftliche Normen rebellierenden Generation liegt nahe. Wie persönlich die Auseinandersetzung Kochs mit der eigenen Situation war, belegt das, was er einmal über die Arbeiten jener Zeit gesagt hat: »Das Weiche bin ich.« In den Reliefs der folgenden Zeit erfolgte eine Beruhigung. Die Auseinandersetzung mit sich selbst war abgeschlossen. Kurt Koch, der inzwischen, 1999, ein Atelier in Berlin-Moabit bezogen hatte, verzichtete nun auf die eingearbeiteten Stahlteile; nur der Stahlrahmen schließt eine homogenere Polyestermasse ein, die zum Zentrum hin verschiedenartige Vertiefungen aufweist. Koch hat Fotos weiblicher Körper aus Zeitungen und Illustrierten gesammelt und zu „Nabel“-Reliefs verarbeitet. Durch die unterschiedlichen Posen der Vorlagen sind vielerlei Variationen durch Drehungen, Dehnungen, Faltungen, Verzerrungen des Körpers um das Nabelloch herum möglich. Doch wie immer ging es Koch nicht primär um ein getreues Abbild einer Vorlage, sondern um die kalkulierte Konstruktion einer zunehmend auf ein Minimum reduzierten plastischen Situation. Schließlich entstand das, was man als Kochs Spätwerk bezeichnen kann, denn er arbeitet seit einiger Zeit kaum mehr. Nach der »Nabelschau« – er verblieb beim Relief in Gips, verzichtete auf eine Ausführung in Polyester, änderte das Quadrat zum Hochrechteck – wandte sich Koch mehr und mehr dem gesamten weiblichen Körper oder bestimmten Körperzonen zu. In gewisser Weise kehrte er also an seine Wurzeln der Schul- und Steinmetzzeit zurück. Wesentlich war für ihn eine Beobachtung, die er vor Kunstwerken und auf seinen Studienreisen gemacht hatte. Er hatte immer wieder festgestellt, dass es ausgedehnte Perioden der Kunst- und Kulturgeschichte gab, die sich mit Selbstverständlichkeit allen männlichen Geschlechtsorganen widmeten. Dagegen gab es bei Frauenakten seit der Antike durchgehend das Tabu, die Vulva, also das, was bis heute noch als »Scham« bezeichnet wird, darzustellen. Gustave Courbet, der dies als Erster wagte, malte seinen „Ursprung der Welt“ ausschließlich für die Augen eines türkischen Diplomaten. Erst Künstlerinnen wie Frida Kahlo oder Louise Bourgeois brachen zur Zeit eines aufstrebenden Feminismus mit dieser schambesetzten Tradition. Dem möglichen Vorwurf des Voyeurismus entgeht Kurt Koch mit seinen Rückenansichten, die das Geschlechtliche andeuten, aber als Individualitäten im Anonymen bleiben. Das Mimetische tritt stärker hervor als bisher, ohne dass der Gedanke der plastischen Konstruktion verlorengegangen ist. In die Öffentlichkeit sind Kurt Kochs Arbeiten nur sporadisch gelangt. Eine Wirkung hat er jedoch auf jeden Fall erzielt: Seine Tochter weiß die ästhetische und handwerkliche Erfahrung, die sie durch ihn und seine Werke erhalten hat, zu schätzen. Auch Uschi Koch setzt sich – nicht ausschließlich – mit dem weiblichen (auch dem eigenen) Körper auseinander, wenn auch in anderer Technik, in anderem Stil, mit anderer Sichtweise – im Kontrast, aber auch im geheimen Dialog der Generationen.

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           Text des kieler Kunsthistorikers Peter Thurmann für den Katalog "Liebe zur lebendigen Form", aus der

           Reihe Ars Borealis der Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein

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