>>> USCHI KOCH - DIE FORM DES LICHTSATZES

         Hubertus von Amelunxen - Katalogtext 2005

 


Uschi Koch ist Bildhauerin und Fotografin, sie fügt und formt, setzt Bilder aus Licht, Bilder des Körpers, Bilder der choreographierten Körper, die im Fragment einer Zeit entnommen und unserem Blick jetzt in einem anderen, aller Bewegung für den Augenblick entsetztem Raum, in einer anderen Zeit zugeführt werden. Versetzt in unser Gesicht gestellt oder wie zu erzählerischen Zeichen aneinandergereiht, steht der Körper der Frau im Mittelpunkt der Arbeiten von Uschi Koch. Sie nutzt das Medium der Fotografie in einer genuinen Art und Weise. Fotografie ist Reproduktion und Entfremdung im Fragment zugleich – sie führt fort, reproduziert und zugleich trennt sie, schneidet Zeit ab und ruiniert Räume. Es ist ein letztlich brutales Medium, wunderbar in seiner allegorischen Endgültigkeit und schwierig zu fassen als das lichte Bild vergangener Räume und Körper.

 

Uschi Koch setzt und versetzt mit der Fotografie Blicke, als umhüllte sie mit ihnen Körper, die fortwährend in der Verwandlung begriffen sind. Die fragmentarische Heraushebung einzelner Bildpartien – wie in der Arbeit „ La Bella Durmiente“ – stellt diese Bilder auf die Schwelle zwischen Fotografie und Inszenierung, zwischen dem gefundenen und dem gedachten Bild. Uschi Koch montiert und setzt Zeitstücke zusammen. Die Montage ist ein ebenfalls genuiner Zug der Fotografie; es wird etwas herausgehoben, gleichsam dem zeitlichen wie leiblichen Zusammenhang entzogen und zu anderen Partikeln des ZeitRaums gefügt. Das Aufeinandertreffen von Zeiten ist nicht minder verstörend als die Berührung von zwei fremden Körpern – und jeder Körper ist dem anderen fremd, nur nicht der gebärende dem geborenen. Dieses Zusammentreffen, die Kollision von Körper und Fotografie, d.h. von Körper und fotografischem Blick, bestimmt stetig die Entwicklung der künstlerischen Arbeiten von Uschi Koch seit 1992 bis 2005.

 

Den fotografischen Blick, der immer, auch ungewollt, fetischistisch, voyeuristisch und exhibitionistisch wirkt, der – mit Freud gesprochen – Partialobjekte aus dem Körper hebt und fixiert oder aus dem Verborgenen herausschält, diesen fotografischen Blick führt Uschi Koch als eine bedeutende Reflexion ihrer Arbeit.

 

Mit diesem Buch blättern wir in möglichen Geschichten des Körpers. Kein Körper ist in einer Geschichte zu singularisieren, kein Körper in einer Erzählung erschöpft, kein Körper in seiner Zeit zu fassen. In ihren Arbeiten setzt sie die Körper in die Geschichten des Anderen, in die unseres Blickes, in das menschliche Vermögen, dem Gegenüber, dem Anderen mit Respekt und Würde zu begegnen, als begrüßten wir mit jedem Blick die Ankunft eines neuen Menschen, in Sorge und in Euphorie. Wenn der Körper des Kindes in die Zeit des fotografischen Bildes gerät, geschieht hier etwas Seltsames. Das Kind ist das gesellschaftliche Symbol für die Generationen, für das Fortleben der menschlichen Gemeinschaft nicht im virtuellen, kalkulierten, sondern im realen, gelebten Raum – in der Fotografie nun, zärtlich umarmt, als Generation geborgen, aber auch vor den Blicken geschützt, wird eben alles Fortleben stillgestellt – ein Leben, das in der Zeit des Bildes sich amortisiert. Nirgendwo stehen Leben und Tod sich unentschieden so nahe wie in der Fotografie. Uschi Kochs fragmentierte und wie zu Notationen des Lebens choreographierte Bilder von Menschen stehen für mich auf eben dieser Schwelle zwischen Obhut und Preisgabe. Vielleicht sehe ich diese Arbeiten sehr stark mit einem Blick auf das Medium selbst: Die Fotografie markiert als Reproduktion immer einen Verlust, was wir sehen, ist fort, und jedes Bild eines Körpers gewinnt seine Zeit erst mit unserer Zukunft – nicht wieder, sondern neu.

 

Uschi Kochs „Estados“ – „Zustände“ sind zu Büchern oder Heften gefalzte Körperausschnitte, kollagierte Doppelungen, wie kleine Suiten von Rohrschachbildern, bei denen die eine Hälfte die Erinnerung der anderen trägt. Auch sie haben etwas Stilles, einem punktierten Leben gleich, das sich in ungewohnten Form jenseits von Physiologie und Organismus zwischen den Seiten wiegt. Vielleicht ist der Rhythmus, der Lebens-Rhythmus, aber auch der visuell-musikalische, der bild-räumliche ein wesentliches Charakteristikum in der Fotografie Uschi Kochs. Die Seiten der Zustände, die seriellen Anordnungen der Bilder oder auch die räumlich-plastischer Hervorhebung der Körperfragmente, sie fügen sich alle zu Notationen des Körpers, wie eine Braille-Schrift, mit der unser Blick tastet , als könnte er je den Atem hören.

 

Bestimmend für ihre „Tanzmomente“ sind sicherlich die Aufenthalte in Lateinamerika gewesen, während derer sie Bewegung als Befreiung und unmittelbaren seelischen, nicht sichtbaren Ausdruck verstanden hat. Die Momente des Tanzes sind Einschnitte und führen die Bewegung als eine Geste des Lebens. Die Verbindung von aufgehaltener Bewegung und Leben gebender Geste prägt die fotografischen Arbeiten von Uschi Koch.

 

Katalogtext 2005 - Hubertus von Amelunxen

 

 

<<< zurück